Musik auf Schlössern und Adelssitzen
Auf der Churburg über Schluderns im Vinschgau befindet sich seit der Zeit des als "amator musices" gerühmten Ritters Jakob Trapp (1529-1563) ein Orgelpositiv, das Michael Strobl aus Ammergau 1559 kunstvoll gefertigt hat. Die sog. "Baldachinorgel", 1969 von Jürgen Ahrend aus Loga (Niedersachsen) behutsam restauriert, ist ein kostbares Rarissimum und vermag heute ein wenig von der tatsächlichen Klangwelt der Renaissance zu vermitteln. Das Instrument war wohl weniger für die Kirche als für das Musizieren im häuslichen Kreis bestimmt. Möglicherweise sind die vierstimmigen Psalmen aus den 1538 und 1539 erschienenen Nürnberger Sammeldrucken "Tonus primus" und "Tonus secundus psalmorum selectorum a praestantissimis musicis [...]" (RISM B/I 15386, 15399) in der Burgkapelle erklungen, denn Jakob Trapp hat 1544 ein Exemplar dieses Kompendiums mit Werken von Josquin Desprez, Adrian Willaert, Heinrich Isaac und vielen anderen besessen.[44] Klavier- und wohl auch Kammermusik erklang im Hause Trapp auf der Churburg seit 1814 auf einem reich verzierten Hammerflügel des Innsbrucker Klaviermachers Johann Georg Gröber.[45]
Baron Franz Andreas Sternbach (1675-1755) ließ 1725 in der Mariahilf-Kapelle seines Ansitzes Grabenstein zu Innsbruck-Mühlau vom schwäbischen Orgelbauer Augustin Simnacher (1688-1757) und um 1740 in der Kapelle von Schloss Wolfsthurn bei Mareit von Ignaz Franz Wörle (1710-1778) aus Vils jeweils eine Orgel errichten.[46] Auf Schloss Rodeneck (Pustertal) sammelte Christoph Freiherr von Wolkenstein (1530-1600) zeitgenössische geistliche Gesangbücher, z.B. aus Innsbruck (1588), Köln, Augsburg und Tegernsee. Der Schlossherr besaß ferner 1594 die später als "Wiltener" bezeichnete Meistersingerhandschrift, die heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München verwahrt wird (Signatur Cod. germ. 5198). Im 17. Jahrhundert waren auf Rodeneck ebenso wie auf Annenberg (Vinschgau) Lauten- und Gitarrentabulaturen vorhanden. Die Sammelhandschrift, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts zur Bibliothek der Freiherren von Annenberg gehörte (RISM B/VII/ ) und seit 1897 im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck (Signatur Hs. 533) verwahrt wird, enthält als Gitarrentabulatur anonyme Tanzsätze und am Schluss einige Stücke für ein Tasteninstrument in moderner Notation im Klaviersystem. Bis zum Jahr 1889 war die Familie Wolkenstein-Rodenegg im Besitz einer wahrscheinlich 1432 in Neustift bei Brixen entstandenen Prachthandschrift mit Liedern Oswalds von Wolkenstein, des Codex, der heute als Handschrift "B" in der Universitätsbibliothek Innsbruck aufbewahrt wird.[47]
Die Schlossherrschaften wussten mit verschiedenen Instrumenten selbst umzugehen.So spielte etwa Franz Anton von Enzenberg die Harfe so vortrefflich, dass er sogar dem Pfleger von der Michelsburg über St. Lorenzen, Johannes Sigmund von Rost (1653-1729), Unterricht auf diesem Instrument erteilen konnte. Rost hatte schon 1676 "etwas auf der Tromppen Marina [...] erlernet".[48] Musik diente in adeligen Kreisen bevorzugt privater Unterhaltung wie der Bereicherung gepflegten gesellschaftlichen Umgangs: Freiherr Jakob von Boimont zu Pairsberg zum Beispiel 1574 in seinem Innsbrucker Haus seinen Gästen zu Ehren "ain tanz gehalten".[49] Graf Tannenberg in Schwaz bestellte zum Mittagsmahl mit der Herzogin von Parma, Maria Amalia, 1783 eigens zur Tafelmusik die "Migazzische Regiments-Capelle" zu sich.[50] Die Familie des begüterten Bozener Kaufmanns und Musikmäzens Anton Melchior von Menz residierte im Sommer in Oberbozen. Franz Bühler (1760-1823), der von 1794 bis 1801 als Pfarrorganist in Bozen wirkte, kam während dieser Zeit mit auf den Ritten und besorgte im Hause Menz die Musik.[51]
Ludwig Graf Sarnthein (1792-1867) und seine Gattin Anna Edle von Menz dagegen leisteten sich in Bozen eine eigene Kapelle.[52] Die gräfliche Familie Khuen-Belasy auf Schloss Gandegg bei St. Michael/Eppan verzeichnete in einem Inventar von 1713 neben Noten zwanzig Violinen, vier Violen, sieben Gamben und fünf Posaunen, Instrumente, die bei den Konzerten im Schloss erklangen. Franz Ritter von Goldegg (1794-1874) auf Schloss Spauregg nannte ebenfalls eine Sammlung von Musikalien und Instrumenten sein eigen. Zu Kammerkonzerten ließ er die besten Musiker aus Bozen und Meran zu sich kommen und wirkte auch selbst als Violinist mit. Mit dem in Frankreich, Deutschland und Österreich erfolgreichen Tiroler Komponisten Matthäus Nagiller (1815-1874) stand er in regem Briefwechsel. Nagiller leitete schließlich von 1852 bis 1854 die Musikkapelle des Grafen in Partschins.[53] Graf Pius Fidelis Wolkenstein (1749-1826) begann 1771 zu Trient im Palazzo Wolkenstein mit der Veranstaltung von Musikalischen Akademien. Johann Baptist Gänsbacher (1778-1844) war bei ihm, ebenso wie bei Baron Josef Hieronymus Freiherr von Taxis und weiteren Adelsfamilien (Prato, Gaudenti) in Trient vor allem wegen seiner "musikalische[n] Bildung [...] die in besagten Häusern fleißig in Anspruch genohmen wurde", ein gern gesehener Gast.[54]
Im Taxischen Palais in Innsbruck (seit 1804 "Palais Trapp") fanden wiederholt gesellige Vergnügungen mit Musik statt. Das denkwürdigste musikalische Ereignis dort dürfte ein Konzert Wolfgang Amadeus Mozarts am 17.12.1769 vor versammeltem Adel gewesen sein. Mozart hatte auf seiner ersten Italienreise mit seinem Vater in Innsbruck Halt gemacht und war von Johann Nepomuk Graf Spaur zu einer Akademie in das Haus des Franz Grafen Künigl geladen worden.[55]
Im Jahre 1884 erwarb die damals in Sankt Petersburg am Konservatorium lehrende, international gefeierte Klaviervirtuosin und Komponistin Sophie Menter (1846-1918) das Schloss Itter und bewohnte es von 1887 bis 1902 ständig. Im September weilte einer ihrer Lehrmeister, Franz Liszt, zu Gast in Itter. Am 18. Oktober 1891 gab sie hier ein Benefizkonzert zu Gunsten der Kirche und Schule von Itter sowie der Neugründung des Gesangvereins Wörgl. Pjotr Iljitsch Tschaikowsky verbrachte im September 1892 zwei Wochen bei der Künstlerin im Schloss und instrumentierte wahrscheinlich während dieser Tage die von ihr komponierten "Ungarischen Zigeunerweisen". Der Musikverein Innsbruck ernannte Sophie Menter zu seinem Ehrenmitglied.[56]
Fussnoten
[44] Oswald Graf Trapp, Ritter Jakob Trapp auf Churburg (1529-1563). Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Tirols (= Schlern-Schriften 127), Innsbruck 1954, S. 24ff.;
Bruno Oberhammer, "Drei Baldachinpositive im Alpenraum. Ein Vergleich", in: Orgel und Orgelspiel im 16. Jahrhundert, hrsg. v. Walter Salmen (= Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft 2), Neu-Rum bei Innsbruck 1978, S. 167ff.;
Alfred Reichling - Istvan Golarits, Orgellandschaft Südtirol, Bozen 1982, S. 34ff.;
[Booklet zur CD] Baldachin-Orgel Churburg 1559 [mit Texten von Johannes J. Graf Trapp, Peter Waldner, Egon Krauss und Jürgen Ahrend], hrsg. v. ORF Landesstudio Tirol, Innsbruck [1997]. -
Vgl. Peter Waldner, "Vier Musikdrucke des 16. und 17. Jahrhunderts im Oberen Vinschgau", in: Musica vocalis. Singen in Südtirol - einst und jetzt, Bozen 1989, S. 21f.
[45] Maria Elisabeth Nussbaumer-Eibensteiner, Johann Georg Gröber. Tiroler Klavier- und Orgelbauer 1775-1849(Diplomarbeit an der Hochschule Mozarteum Salzburg / Abteilung X Musikerziehung in Innsbruck), Innsbruck 1992, S. 93ff.
[46] Alfred Reichling, "Die Orgel der Schloßkapelle Wolfsthurn", in: Der Schlern 53 (1979), S. 534. - Simnacher verstarb in Brixen; Wörle war ab 1743 Inwohner von Bozen.
[47] Anton Dörrer, "Hundert Innsbrucker Notendrucke aus dem Barock. Ein Beitrag zur Geschichte der Musik und des Theaters in Tirol", in: Gutenberg-Jahrbuch 14 (1939), S. 255;
Anton Dörrer, Tiroler Volksgut auf dem Heideboden (= Burgenländische Forschungen 17), Eisenstadt 1951, S. 53;
Anton Schwob, Oswald von Wolkenstein, Boten 1977, S. 240;
Walter Neuhauser, "Ich, Wolkenstein", in: Vom Codex zum Computer. 250 Jahre Universitätsbibliothek Innsbruck [Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 1995/96], Innsbruck 1995, S. 50, 171.
Kurt Drexel, "Eine Tabulaturhandschrift aus dem ehemaligen Bestand der Schloßbibliothek Annenberg (Südtirol) im Tiroler Landesarchiv", in: Neues Musikwissenschaftliches Jahrbuch 5 (1996), S. 51ff.
[48] Rudolf Humberdotz (Hrsg.), Das Tagebuch des Johannes Sigmund von Rost zu Kehlberg und Aufhofen (= Schlern-Schriften 114), Innsbruck 1956, S. 36.
[49] Max P. Straganz, "Beiträge zur Geschichte Tirols II. Die Autobiographie des Freiherrn Jakob von Boimont zu Pairsberg (1527-1581)", in: Programm des k.k. Ober-Gymnasiums der Franciscaner zu Hall [...] 1895-1896, Innsbruck 1896, S. 60.
[50] Franz Carl Zoller, Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck und der umliegenden Gegend 2, Innsbruck 1825, S. 268.
[51] Giuliano Tonini, "Franz Bühler (Bihler): 1760-1823", in: Il Cristallo 30 (1988), S. 54ff.;
Giuliano Tonini, "Il Salotto musicale a Bolzano fra Settecento e inizi Novecento", in: Il Cristallo 31 (1989), S. 117ff.;
Giuliano Tonini, "Salonkultur in Bozen", in: Musica vocalis. Singen in Südtirol einst und jetzt, hrsg. v. Südtiroler Sängerbund, Bozen 1989, S. 45ff.;
[Hildegard Herrmann-Schneider], [Exponatbeschreibung zu Franz Bühler, XII. Allemandes Nouveaux pour la grande Salle des Redoutes a Boulzaine, München um 1828], in: Bayerisch-tirolische G'schichten ... eine Nachbarschaft. Katalog [zur Tiroler Landesausstellung Kufstein 1993], Innsbruck 1993, S. 386.
[52] Anton Dörrer, Tiroler Umgangsspiele (= Schlern-Schriften 160), Innsbruck 1957, S. 171;
Anton Dörrer, Bozner Bürgerspiele (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 291), Leipzig 1941, S. 217.
[53] Karl Franz Zani, 150 Jahre Musikkapelle Girlan. Festschrift, Girlan 1983, S. 9, 115;
Elmar Tschöll, "Zum 150. Geburtstag des Komponisten Franz Schöpf aus Girlan", in: Der Schlern 60 (1986), S. 603;
Bote für Tirol und Vorarlberg vom 15.1.1874, S. 76.
[54] Johann Gänsbacher, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, hrsg. v. Walter Senn, Thaur 1986, S. 59.
[55] Clemente Lunelli, "Le Accademie Musicali del Conte Pio Fedele Wolkenstein a Trento nel secondo Settecento", in: Studi Trentini di Scienze Storiche 68 (1989), S. 533ff.;
Franz Carl Zoller, Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck und der umliegenden Gegend 2, Innsbruck 1825, S. 357;
Walter Senn, "Mozarts Innsbrucker Aufenthalt im Dezember 1769", in: Tiroler Heimatblätter 52 (1977), S. 124ff.;
Manfred Schneider, Mozart in Tirol [Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ausstellungskatalog], Innsbruck 1991, S. 8f.
[56] Kaspar Schwarz, Tirolische Schlösser. Heft I. Unterinntal 1. Teil, Innsbruck 1907, S. 58f.;
André Lischke, Piotr Ilyitch Tchaikovski, [Paris] 1993, S. 294f.