Glockenguss
Glockengeläute war in vielfältiger Weise mit dem Alltagsleben der Menschen verbunden. Kirchenglocken riefen zu Gottesdienst und Gebet, verkündeten Hochzeit und Sterben ("Schiedungläuten"). Sie läuteten Kirchenfeste, den Feierabend oder ankommende hohe Gäste ein, warnten vor drohendem Unwetter, Feuer, Krieg und luden zum Theater auf den Marktplatz. Läutordnungen regelten die Klangfolge für die jeweiligen Läutanlässe. Zur Zeit der Auflösung des Haller Damenstifts (1783) standen dort fünf Glockenläuter im Dienst.[1]
Das Glockengießergewerbe ist in Tirol seit der Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisbar. Innsbruck gehört zu den bedeutendsten Gussstätten Österreichs.[2] Kaiser Maximilian berief 1498 Hans Selos aus Füssen zum Glockengießer in Innsbruck. Peter Löffler (vulgo Laiminger) (1468-1530) begründete gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Büchsenhausen eine Glocken- und Kunstgießerei, die seine Söhne Gregor Löffler (1490-1565) und Alexander Löffler ( vor 1543) weiterführten. Gregor Löffler arbeitete zeitweise mit seinen Söhnen Elias ( 1610) und Hans Christoph (ca.1530-1595). Des letzteren Sohn Christoph (1568-1623) beendete die Gießertätigkeit der Familie Löffler. Peter Löffler lieferte eine Glocke zum Beispiel 1491 nach Sterzing, Hans Christoph Löffler 1585 nach Deutschnofen. Nicht wenige Glocken der Familie Löffler haben sich bis heute erhalten.[3]
Heinrich Reinhart ( 1629) kam 1595 nach Innsbruck und kaufte 1614 die Löfflersche Werkstätte. In den Jahren 1609, 1611 und 1620 lieferte er je eine Glocke für das Stift Wilten. Sein Neffe Friedrich Reinhart (1604-1638) übernahm den Betrieb, in dem 1640 noch Bartlme Reinhart arbeitete. Bartlme Köttelath (Kettelath) der Ältere (*1608) heiratete 1641 die Witwe Friedrich Reinharts in Büchsenhausen. Bartlme Köttelath der Jüngere, vermutlich ein Sohn des Senior, legte 1682 erfolgreich bei der Landesregierung Beschwerde ein, weil die Gemeinde Grins bei einem Glockengießer in Kempten eine Glocke bestellt hatte und nicht bei einem heimischen. Matthias Köttelath (*1680), ein Sohn von Bartlme dem Jüngeren, lieferte wie Bartlme der Ältere eine Glocke nach St. Georgenberg. Franz Josef Köttelath (*1712, Sohn von Matthias) betätigte sich ab 1733 als Gießer in Büchsenhausen. Johann Paul Schellener, ein Sohn des Bozner Gießers Georg Schellener ( 1679), hatte in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts seine Werkstatt in Innsbruck. 1734 lieferte er zwei Glocken nach St. Georgenberg, 1735 führte er eine Glockenreparatur für Stift Wilten aus.[4] Georg Zach (*1672) könnte bei ihm Geselle gewesen sein. Stefan Zach arbeitete Mitte des 18. Jahrhunderts in Innsbruck unter anderem für Stift Wilten 1763. Ihm folgten sein Sohn Sebastian Zach (*ca.1740-1816) und sein vermutlicher Enkel Josef Zach. Augustin Vital übergab seine Gussstätte in Büchsenhausen 1774 an Simon Peter Miller (Müller) (*ca.1747-1804). Sein Sohn Josef Georg Müller (*ca.1778-1854) war der letzte Glockengießer in Büchsenhausen. Vater und Sohn gossen Glocken zum Beispiel für die Pfarrkirche Zirl.
In Brixen waren über Jahrhunderte Glockengießer ansässig, so Johann Löffler ( 1577), Johann Weilander ( 1588), Georg Walser (urkundlich erwähnt 1591), AdamSterzer ( 1633) sowie die Familie Grassmayr, die bald in Habichen und Wilten sich niederließ und heute noch einen Firmensitz in Innsbruck-Wilten hat. In Brixen übten folgende Grassmayr das Glockengießerhandwerk aus: Benedikt ( 1688) mit seinen Söhnen Lukas (1632-1692) und Oswald, Georg (1661-1720) und sein Sohn Josef (1690-1765), Johann (genannt 1758 und 1763), Franz Anton (1763-1824) und sein Sohn Josef Alois (1805-1858) und Jakob (1802-1873). Bartlme Grassmayr (1670-1722) lernte das Handwerk in Brixen und übersiedelte Ende des 17. Jahrhunderts nach Habichen. Ihm folgten in Habichen nach: sein Sohn Jakob ( ca.1742) und sein Enkel Bartlme der Jüngere (*1724), dessen Söhne Johann Nepomuk (1754-1822), Jakob und Konrad. Johann Grassmayr (1801-1883), ein Sohn Konrads, verlegte 1836 den Betrieb von Habichen nach Wilten. Johanns Neffe Josef (1839-1899) leitete hier das Unternehmen ab 1870. Die Witwe Josef Grassmayrs, Emma, führte mit ihren Brüdern Otto und Nikolaus Knitel das Geschäft weiter. Um 1840 erzeugte JakobAnton Grassmayr aus Feldkirch Glocken in Bozen, zum Beispiel für Petersberg (1840), Deutschnofen (1843) und Lengmoos (1844).[5]
Der erste Glockengießer von Bozen siedelte sich dort 1613 an: Hans Schellener (Schelener) der Ältere (I.) ( 1651) aus Petersberg hatte das "Gloggen- und Pixengüesser"-Handwerk in Innsbruck erlernt; 1637 hat er mit Benedikt Grassmayr gearbeitet. Hans Schellener der Jüngere (II.) (1619-ca.1664) übernahm 1651 die Gießerei des verstorbenen Vaters, und nach seinem Tod übertrug der Stadtrat 1665 seinem Bruder Georg Schellener ( 1679) die Gießerei. 1679 wurde der Glockengießergeselle Thomas Zwelfer (1650-1704) aus Innsbruck in Bozen als Meister aufgenommen mit der Bedingung, die Witwe Georg Schelleners zu ehelichen. AntonZwelfer ( ca.1738) durfte sich 1716 als Glockengießer in Bozen niederlassen gegen "Erheiratung der Calovi'schen Wittib" und Bezahlung von "Incolat Tax und Gewerbsteuer". Der gebürtige Bozner Simon Calovi ( 1716) hatte die Tätigkeit als Meister in seiner Heimatstadt 1704 aufgenommen. Als Nachfolger Thomas Zwelfers goss er für die Bozner Pfarrkirche 1713 die gesprungene "Weinglocke" um und 1714 ein neues "Ziegnglöggl" (Sterbeglöckchen). 1708 schuf er eine Glocke für St. Helena bei Deutschnofen. Im Jahr 1740 fand der Gießergeselle Joachim Michael Reis ( 1760) aus Brieg (Schlesien) provisorische, 1741 definitive Aufnahme in Bozen. Er hatte in München und Salzburg gelernt. Seine Witwe ehelichte 1761 den Nürnberger Glockengießergesellen Georg Sebastian Gerstner ( ca.1774), der daraufhin als Einwohner, Stuck- und Glockengießer in Bozen zugelassen wurde. Sodann übernahm Josef Reis ( ca.1788), ein Sohn von Joachim Michael Reis, den Betrieb; ihn bestätigte 1775 der Stadtrat als Meister. Johann Michael Zach ( 1830) aus Gösting bei Graz vermählte sich 1789 mit der Witwe des Josef Reis und entfaltete in der Bozner Gegend eine emsige Tätigkeit. Sein Sohn Johann Zach führte ab 1830 die Gießerei weiter.[6]
Gut zwei Dutzend Glocken der Süd- und Nordtiroler Gießer Georg Schellener, Joachim Michael Reis sowie der Familie Grassmayr haben sich bis in unsere Zeit im Val Müstair erhalten.[7]
In Trient arbeitete spätestens seit 1783 die Glockengießerfamilie Chiappani.
Ihr erster Vertreter war Bartolomeo Chiappani (1728-1804), der anfangs mit GiuseppeRuffini (ca.1721-1801) arbeitete, der eine Glockengießerei unter anderem in Rovereto betrieb. Das letzte im Glockenguss aktive Familienmitglied war Carlo Chiappani (1853-1928), der Glocken für mehrere europäische Länder, Indien und Amerika lieferte. In Tirol ertönten seine Glocken unter anderem in St. Nikolaus in Eggen (1874), St. Agatha in Deutschnofen (1885) oder von den Türmen der Jesuitenkirche in Innsbruck, für die er 1901 eine Glocke mit 9906 kg schuf. 1911 stellte er sechs neue Glocken für die Pfarrkirche Schwaz her. Carlo Chiappani arbeitete bis 1915. Nach der Zerstörung seines Unternehmens im Ersten Weltkrieg baute er es nicht wieder auf, sondern widmete sich seinen privaten musikalischen Interessen, nicht zuletzt dem Komponieren.[8]
In Mühlen im Tauferertal waren Sebastian Feichter (1760-1816) und sein Sohn MartinFeichter (1796-1871) sowie Karl Franz Feichter (1798-1854) mit der Herstellung von Glocken beschäftigt. Die Gießerfamilie Dengg hatte durch drei Generationen ihren Sitz in Jenbach, unter ihnen Johann Josef Dengg (1815-1859). Aus Brixlegg wird 1729 ein Glockengießer Johann Wolfgang Köchl erwähnt.[9]
Fussnoten
[1] August Lindner, "Die Aufhebung der Klöster in Deutschtirol 1782-1787. Ein Beitrag zur Geschichte Kaiser Joseph's II.", in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg 3. Folge, 29. Heft (1885), S. 280.
[2] Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 165, 513.
[3]Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 166ff.
Johanna Gritsch, "Die Glocken Peter Löfflers", in: Veröffentlichungen des Museum[s] Ferdinandeum 20/25 (1940/45, Innsbruck 1947), S. 55ff.;
Konrad Fischnaler, "Beiträge zur Geschichte der Pfarre Sterzing und des Pfarrkirchenbaues", in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg 3. Folge, 28. Heft (1884), S. 136f.;
Hans Simmerle, Kleine Musikgeschichte. Deutschnofen-Eggen-Petersberg, Auer [1975], S. 65;
Gertrud Pfaundler, Tirol-Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol, Rum 1983, S. 238 (Artikel "Gregor Löffler", mit einem Werk- und Standortverzeichnis von Löffler-Glocken).
[4] Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 169ff.;
Hildegard Herrmann-Schneider, "Vom Musikleben im Stift Wilten (Innsbruck)", in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 72 (1988), S. 103;
Franz Zangerl, "Tiroler Sprüche und Redensarten von der Glocke", in: Tiroler Heimatblätter 26 (1951), S. 61;
Thomas Naupp OSB, "Zur Geschichte der Glocken von St. Georgenberg-Fiecht seit dem dritten Brand von 1637", in: 850 Jahre Benediktinerabtei St. Georgenberg-Fiecht 1138-1988 (= Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, 31. Ergänzungsband), St. Ottilien 1988, S. 109ff.;
Willi Christanell, "Die Bozner Glockengießer", in: Der Schlern 5 (1924), S. 272.
[5] Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 163ff., 230f.;
Norbert Prantl, Heimat Zirl. Ein Heimatbuch (= Schlern-Schriften 212), Innsbruck 1960, S. 183;
Ludwig Schönach, "Brixen im Bilde kunstgewerblicher und künstlerischer Betätigung seiner Ahnen (XVI.-XIX. Jahrhundert) nach den kanonischen Büchern des Dekanalarchivs Brixen", in: Der Sammler 3 (1909), S. 25f.;
Hans Simmerle, Kleine Musikgeschichte. Deutschnofen-Eggen-Petersberg, Auer [1975], S. 65, 67f.;
O. Knitel, Seit 1599 Glockengießerei Graßmayr, Innsbruck 1952, S. 65, 67f.;
H. von der Trisanna, "Die Graßmayr'sche Glockengießerei in Innsbruck", in: Tiroler Heimatblätter 3 (1925), H. 10, S. 9ff.;
Manfred Schneider, "Herdengeläute (Kuhglocken, Schellen und Rollen)", in: Der Schlern 51 (1977), S. 617ff.;
Willi Christanell, "Die Bozner Glockengießer", in: Der Schlern 5 (1924), S. 276.
[6] Willi Christanell, "Die Bozner Glockengießer", in: Der Schlern 5 (1924), S. 271ff.;
C. Inama, "Zum Aufsatze 'Die Bozner Glockengießer' [von Willi Christanell]", in: Der Schlern 6 (1925), S. 98;
Hans Simmerle, Kleine Musikgeschichte. Deutschnofen-Eggen-Petersberg, Auer [1975], S. 65;
Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 229f.
[7] Hans-Peter Schreich, "Tiroler Glocken im Bündnerischen Münstertal", in: Der Schlern 66 (1992), S. 570ff.
[8] Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 130, 242;
Hans Simmerle, Kleine Musikgeschichte Deutschnofen - Eggen - Petersberg, Auer [1975], S. 65;
Hans Sternad, "Aus der Geschichte 1850 bis 1980", in: Stadtbuch Schwaz. Natur - Bergbau - Geschichte, hrsg. v. Erich Egg [u.a.], Schwaz 1986, S. 284f.;
Clemente Lunelli, Dizionario dei Costruttori di strumenti musicali nel Trentino, Trento 1994, S. 43ff.
[9] Andreas Weissenbäck und Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich, Graz-Köln 1961, S. 130f., 136, 152, 173, 237.