Die Spaur-Messe KV 257 von Wolfgang Amadé Mozart
Zur Spaur-Messe KV 257
von Wolfgang Amadé Mozart
Von Hildegard Herrmann-Schneider
Vortrag auf Castel Valer
in Tassullo/Trentino, Nonstal
am 8. Dezember 2012
Im Rahmen des Festivals Chorwoche 2012
und der Veranstaltungen
Castel Valer und die Grafen Spaur 2012
Live-Übersetzung des deutschen Textes
auf Castel Valer: Caterina Centofante
La "Spaur-Messe" KV 257 di Mozart
A cura di Hildegard Herrmann-Schneider
Presentazione a Castel Valer
Tassullo, Valle di Non (Trentino)
l" 8 Dicembre 2012
Nell"ambito della Settimana Corale 2012
e delle manifestazioni
Castel Valer e i Conti Spaur 2012
Traduzione dal testo tedesco all"italiano
in occasione della presentazione
a Castel Valer: Caterina Centofante
Gentili Signore e Signori,
sono molto lieta di presentarLe in questo luogo venerando alcune impressioni sulle mie ricerche scientifiche che ho fatto alcuni anni fa. Esercito la professione di musicologa. Da molti anni mi occupo delle fonti musicali sulla storia della musica in Baviera, in Tirolo e in Alto Adige. Per una fortunata coincidenza ho scoperto nell"Archivio Diocesano a Bressanone un manoscritto musicale del Settecento con musiche di Wolfgang Amadé Mozart. Questo manoscritto recante il titolo di "Missa solemnis in C di Mozart contiene la messa Köchel Verzeichnis 257. Da una parte sono abituata al lavoro con tante fonti, d"altra parte ho visto poco a poco che si trovano in questo manoscritto a Bressanone alcune annotazioni notevoli. Perci decisi di osservare la fonte menzionata pi precisamente. Al primo istante non ho avuto il presentimento di una scoperta straordinaria. Ma durante il mio lavoro seguente veniva alla luce: le parti musicali con la "Missa solemnis in C di Mozart a Bressanone rappresentano queste utilizzate per la prima esecuzione della "Spaur-Messe a Salisburgo nel 1776.
Zum Leben eines Forschers und Wissenschaftlers gehören neue Entdeckungen eigentlich selbstverständlich. Vorab kann oft nicht gesagt werden, welche Dimensionen sie erreichen. Als Musikwissenschaftler sieht man sich von seinen Forschungen her in der Regel kaum mit weltbewegenden Erkenntnissen konfrontiert. Zwar werden bemerkenswerte Forschungsergebnisse in Fachkreisen zur Kenntnis genommen, doch ein neuer Fund, der mit Mozart zu tun hat, lässt viele Leute aufhorchen. Im März dieses Jahres durfte ich in Salzburg zusammen mit der Internationalen Stiftung Mozarteum der Presse meinen jüngsten außergewöhnlichen Fund vorstellen, nämlich ein bisher unbekanntes Allegro molto in C-Dur für Klavier, komponiert vom etwa zwölfjährigen Mozart. Die bald weltweite Medienresonanz war enorm.
Gerade in einer solchen Situation kommt weitum immer wieder die Frage auf: Wie findet man denn "einen neuen Mozart"? Oder: Warum kann man plötzlich eine Komposition Mozarts und Notenmaterialien, die über zweihundert Jahre lang fraglich waren, eindeutig zuordnen, wie das der Fall bei der sogenannten Spaur-Messe im Jahr 2007 war? Natürlich gibt es kein Patentrezept und keine spezifische Forschungsmethode, um damit irgendwo auf der Welt ein bis dato unbekanntes Mozart-Stück gleich einem Archäologen ausgraben zu können oder ein zweifelhaftes Werk zweifelsfrei zu identifizieren.
Achtsamkeit im Alltag ist für mich ein Leitmotiv, gerade auch in meiner abwechslungsreichen und immer neu herausfordernden Arbeit. Allerdings wäre Umsicht allein noch nicht ein Garant für einen herausragenden Erfolg. Zu diesem braucht es auch eine Menge Glück.
Dieses wurde mir einmal mehr zuteil, als ich im Jahr 2007 die definitive Identifizierung von Mozarts sogenannter Spaur-Messe der Öffentlichkeit vorlegen und gleichzeitig auch erstmals das Notenmaterial ihrer Uraufführung aus dem Jahr 1776 nachweisen konnte. Es ist bekannt, welch bedeutende Rolle die Familie der Grafen von Spaur im Lauf der Jahrhunderte im Trentino, in Südtirol und in Tirol spielt, vor allem auch in der Szenerie von Kirche, Politik und Kunst. Ich möchte zum Beispiel erinnern an den Brixner Fürstbischof Leopold von Spaur (*1696 Innsbruck, 1778 Brixen), der von 1747 bis 1778 regierte. Er setzte sich mit großer Umsicht und beeindruckendem, bis heute Spuren zeigendem Erfolg ein für Verwaltungsreformen, für Schulen, für den Neubau des Priesterseminars und insbesondere für die Fortführung des Dombaus zu Brixen, den sein Vorgänger Fürstbischof Kaspar Ignaz Franz Künigl begonnen hatte. Im Alter von 78 Jahren beantragte Fürstbischof Leopold von Spaur am 30. September 1774 für sein Bistum einen Koadjutor und Administrator. Die Wahl in diese Position am 23. Juni 1775 entschied für sich Leopolds Neffe Ignaz von Spaur. Ein halbes Jahr später wurde die Entscheidung durch eine päpstliche Bulle bestätigt (23. Dezember 1775), schließlich in Rom am 16. September 1776 schriftlich beurkundet. Am 30. Oktober 1776 informierte Fürstbischof Leopold von Spaur das Brixner Domkapitel amtlich über den Status seines Neffen Ignaz als Bistumskoadjutor und Bistumsadministrator. Nun erhielt Ignaz von Spaur den Titel eines Weihbischofs von Chrysopolis, die Zusicherung der Amtsnachfolge als Bischof von Brixen und am 17. November 1776 im Dom zu Salzburg durch Erzbischof Hieronymus Franz von Colloredo zeremoniell die Bischofsweihe.
Ignaz von Spaur war, im Gegensatz zu seinem eher die Askese bevorzugenden Onkel Leopold, einem großzügig profanen Lebenswandel nicht abgeneigt. Der Brixner Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht Franz Anton Sinnacher charakterisierte im Jahr 1834 Ignaz von Spaur wie folgt: "Ignaz war ein großer Liebhaber von Musik, Jagd, Pracht und Militär und hatte gern muntere Leute um sich".
Graf Ignaz von Spaur hatte in Innsbruck die strenge Schule der Jesuiten und ein Philosophiestudium absolviert. Er entschied sich zunächst für die militärische Laufbahn und stieg schnell zum Hauptmann in der österreichischen Armee auf. Ignaz" Bruder Josef Philipp von Spaur hingegen war seit 1749 Domkapitular zu Salzburg und Brixen, ab 1755 in Salzburg Konsistorial-Präsident. Nachdem Josef Philipp seinem um elf Jahre jüngeren Bruder Ignaz vorgeschlagen hatte, ihn als Kanonikus zu beerben, wechselte Ignaz in den geistlichen Stand und wurde noch 1755 Domherr zu Salzburg.
Graf Ignaz von Spaur stand der Familie Mozart sehr nahe. Über längere Zeit hinweg gibt es Belege für die Gönnerschaft Ignaz von Spaurs gegenüber den Mozarts und die gegenseitige wohl gewogene Verbundenheit. Ignaz von Spaur ebnete durch Empfehlungen von Salzburg aus vielerlei Wege für die Kunstreisen der Mozarts zwischen 1762 und 1770 sowohl nach Wien als auch nach Italien. Für 11. und 12. Dezember 1771 ist ein ausgiebiges persönliches Zusammentreffen Leopold und Wolfgang Amadé Mozarts mit Ignaz von Spaur in der Hofburg Brixen bezeugt: Im Brixner Hofprotokoll steht an diesen Tagen ein kurzer Eintrag geschrieben, dass die "zwei Mozart" jeweils mit dem "Canonicus Graf Ignati getafelt" und "Musik gemacht haben".
Foto: HHS, 2006.
Leopold Mozart schrieb eben am 11. Dezember 1771 aus Brixen an seine Frau Maria Anna in Salzburg: "Wir werden erst am Montag [den 16. Dezember 1771 in Salzburg] eintreffen, weil S[eine] E[minenz] Graf Spaur, der uns hier aufhält [...], es nicht anders geschehen lässt." Und Leopold Mozart musste dabei seiner Gattin von Ignaz von Spaur auch "1000 Comp[limenti] schicken". Leopold Mozarts Brief vom 31. Juli 1778 an den Brixner Bistumskoadjutor Ignaz von Spaur spiegelt engste Vertrautheit untereinander wider: Hier schüttet Leopold Mozart über den Tod seiner Gattin vor vier Monaten sein Herz aus, ebenso über die desolat gewordenen Verhältnisse in der Salzburger Hofkapelle.
Ich habe die Persönlichkeit des Grafen Ignaz von Spaur sowie sein Verhältnis zur Familie Mozart hier kurz skizziert, um zu erklären, dass die Komposition einer neuen, außergewöhnlich repräsentativen Messe durch Wolfgang Amadé Mozart zur Bischofsweihe Graf Ignaz von Spaurs in Salzburg 1776 nahelag. Einerseits gab dazu das freundschaftliche Band zwischen Ignaz von Spaur und den Mozarts Anlass, andererseits die berufliche Stellung von Leopold wie Wolfgang Amadé Mozart: Der Vater war 1776 als Kapellmeister, der Sohn als Konzertmeister in der fürstbischöflichen Hofkapelle Salzburg bedienstet. In der damaligen Epoche war es selbstverständlich, dass Hofmusiker, im geistlichen wie im weltlichen Bereich, insbesondere zu pompösen Festivitäten bei Hof ein stattliches neues Werk komponierten und zur Aufführung brachten. Dass die Spaur-Messe, wie sie Leopold Mozart 1778 selbst ausdrücklich erwähnt, nur Graf Ignaz von Spaur gewidmet sein kann und nicht etwa Ignaz" Neffen Friedrich von Spaur (*1756 Mainz, 1821), der zwar ebenfalls Kanoniker in Salzburg und ein hervorragender Cellist war, ist eindeutig aus dem Fundort der Handschrift der "Missa solemnis in C" KV 257 in Brixen in Kombination mit der Biographie Ignaz von Spaurs abzuleiten.
Die Spaur-Messe ist die einzige Messe Wolfgang Amadé Mozarts, deren Beiname zu Lebzeiten des Komponisten und sogar im Mozart"schen Familienkreis entstand. Die sogenannte Krönungsmesse KV 317 (komponiert in Salzburg 1779) oder die Spatzen-Messe KV 220 (komponiert in Salzburg wohl um 1775) erhielten diese Bezeichnungen erst posthum. Das Faktum einer einzigen und von Leopold Mozart persönlich getroffenen Zuordnung indiziert einmal mehr, wie bedeutsam die Persönlichkeit Graf Ignaz von Spaurs für die Mozarts war.
Die Formulierung Spaur-Messe kommt erstmals vor in einem Brief von Leopold Mozart, den dieser am 28. Mai 1778 aus Salzburg an seine Gattin Maria Anna und seinen Sohn Wolfgang Amadé in Paris schrieb. Darin berichtet Leopold Mozart kurz, dass er im Salzburger Dom zur Bischofsweihe des Grafen Anton Theodor von Colloredo-Melz und Wallsee am 17. Mai 1778 Wolfgangs Messe "mit dem Org[e]l Solo" aufgeführt, das Kyrie hingegen aus Wolfgangs Spaur-Messe genommen habe. Das Schlagwort "Orgelsolo" kann folgerichtig klar bezogen werden auf die C-Dur-Messe KV 259 mit dem Orgelsolo im Benedictus. Das Kennwort Spaur-Messe jedoch bot seither für die Nachwelt, bis in die jüngste Zeit, ein ungelöstes Rätsel.
Mehrere renommierte Musikhistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts stellten Mutmaßungen an, welche der Messen Mozarts denn nun die Spaur-Messe sei. Ich spare hier die umfangreiche Geschichte der vielfältigen Klärungsversuche aus. Aufzählen möchte ich aber die Nummern im Köchel-Verzeichnis, die seit dem Jahr 1889 aus verschiedenen Gründen als Spaur-Messe in Betracht gezogen waren: KV 139, KV 221 (bzw. Anhang A 1, ein Kyrie in C-Dur, richtig: von Johann Ernst Eberlin), KV 257, 258 und 259, KV 262 und KV 275. Die stattliche Anzahl von sieben für die Identifizierung als in Frage kommend angesehenen Positionen in Mozarts Werkverzeichnis belegt nämlich, dass früher ein jedenfalls breites Spektrum für zahlreiche Überlegungen hinsichtlich der Identifizierung der Spaur-Messe bestand. Dies darf nicht verwundern, denn:
1. war die Handschrift mit der "Missa solemnis in C" von Mozart im Diözesanarchiv Brixen als Schlüssel für des Rätsels Lösung bis zu meinen konsequent systematischen Arbeiten an dieser Stätte niemandem bekannt, und 2. boten erst das detaillierte Studium dieser Quelle, die Eruierung und die Sichtung von Vergleichsmaterial, vor allem aber auch die gezielt nähere Beleuchtung der Rolle der Brixner Fürstbischöfe in Person der Grafen von Spaur die Möglichkeit, umfassende Zusammenhänge für die Identifizierung zu erkennen, systematisch zu rekonstruieren, unwiderlegbar zu deduzieren und schließlich schrittweise zu dokumentieren. Von weitreichender Bedeutung für die Darlegung des Beweisverfahrens zur endgültigen Identifizierung der Spaur-Messe und des Notenmaterials zu ihrer Uraufführung am 17. November 1776 im Dom zu Salzburg war auch die Berücksichtigung des allgemeinen musikhistorischen Kontextes, sowohl in Salzburg als auch in Brixen. Die Beachtung des besonderen Naheverhältnisses von Graf Ignaz von Spaur zur Familie Mozart bot einen weiteren fundamentalen Aspekt auf dem Weg unserer Erkenntnisse.
Ich hatte also das große Glück, eines Tages in Brixen bei meiner alltäglichen Arbeit auf die Handschrift mit der "Missa solemnis in C" von Mozart zu stoßen.
Seit dem Jahr 1998 gehört die wissenschaftliche Katalogisierung des historischen Notenbestandes der Brixner Dommusik zu meinen laufenden Arbeits- und Forschungsprojekten. Diese Tätigkeit geschieht im Auftrag der Brixner Initiative Musik und Kirche, mit Unterstützung der Südtiroler Landesregierung. Jede Musikhandschrift wird nach internationalen wissenschaftlichen und bibliographischen Kriterien genau erfasst und beschrieben. Dazu gehört beispielsweise die Überprüfung des genannten Autors auf Richtigkeit, die Feststellung, wer die jeweilige Quelle geschrieben hat, ob dieser Schreiber verlässlich ist, welches Papier verwendet wurde, ob die Handschrift ein Unikat ist oder nicht, ob eine Komposition international gesehen zum ersten Mal vorkommt, ob sie in einem bereits verfügbaren Werkverzeichnis des betreffenden Komponisten angeführt ist. Durchgeführt wird diese Arbeit im Rahmen des RISM, des Répertoire International des Sources Musicales, des Repertorio internazionale delle fonti musicali. Die Weltzentrale dieses Unternehmens hat ihren Sitz an der Universitätsbibliothek in Frankfurt am Main. In über dreißig Ländern der Welt sind RISM-Arbeitsgruppen tätig, um musikalische Quellen in Schriftform zu dokumentieren und für die Forschung verfügbar zu machen. Seit Juni 2010 werden die Titelaufnahmen aus den einzelnen Ländern in einer Datenbank, dem RISM-OPAC, online zur Verfügung gestellt. Dieser RISM-OPAC ist ein essenzieller Teil der Virtuellen Fachbibliothek Musik (www.vifamusik.de). Für das Diözesanarchiv Brixen sind im RISM-OPAC (www.rism.info, Bibliothekssigel I-BREd) aktuell ca. 3.800 Titel für jedermann jederzeit abzurufen sowie für Wissenschaftler, Musiker oder Musikliebhaber gleichermaßen nutzbar. Selbstverständlich ist dort auch die Beschreibung von Mozarts "Missa solemnis in C" aus dem Diözesanarchiv Brixen zu finden.
Als nun diese Quelle um das Jahr 2005 zur Bearbeitung für RISM an der Reihe war, erkannte ich in ihr aufgrund ihrer physischen Beschaffenheit bald mehrere, auffallend singuläre Komponenten. Somit widmete ich dieser Handschrift über längere Zeit meine detaillierte Aufmerksamkeit und stellte gründliche Forschungen an, ungleich mehr, als es sonst in der Routine des Alltags geschehen kann. Ursprünglich unerwartet ergab sich schließlich ein in dreifacher Hinsicht exzeptionelles Resultat:
1. Die Handschrift mit Mozarts Messe KV 257 im Diözesanarchiv Brixen birgt zusätzliche Indizien, dass es sich bei dieser Komposition wirklich um die Spaur-Messe handeln muss, vollkommen unabhängig von der Theorie Alan Tysons aus dem Jahr 1987, der damals erstmals wieder zugängliche Mozart-Autographe aus den Jahren 1773 bis 1779 gesichtet hatte und dadurch neue Werkdatierungen vornehmen konnte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass die C-Dur-Messe KV 257, bis dahin die sogenannte Große Credo-Messe, im November 1776 in Salzburg komponiert worden sein muss und folglich diejenige sein würde, die zur Bischofsweihe Graf Ignaz von Spaurs am 17. November 1776 im Salzburger Dom erklang. Meine Untersuchungen betreffend die Quelle in Brixen setzten methodisch vollkommen anders an, gelangten aber ebenso zum nunmehr unwiderruflichen Ergebnis, dass ausschließlich die Messe KV 257 die Spaur-Messe sein kann.
Fazit Nummer zwei: Die Handschrift in Brixen stellt den Kern des Uraufführungsmaterials der Spaur-Messe vom 17. November 1776 dar.
Fazit Nummer 3: Die Handschrift in Brixen erweist sich im Vergleich mit anderen relevanten Quellen als die eigentliche Primärquelle, somit die wichtigste und dies für ein kirchenmusikalisches Hauptwerk Mozarts.
Im Folgenden sei ein kurzer Einblick in meine Reflexionen und Analysen gegeben.
Zur Handschrift in Brixen gehören zwanzig Stimmen: Sopran, Alt, Tenor, Bass Solo und Ripieno, Violine 1, Violine 2, Violone, Oboe 1, Oboe 2, Fagott, Clarino 1, Clarino 2, Pauken und Orgel. Mit Ausnahme von Violine 1 und 2 ist jede Stimme in einfacher Ausfertigung vorhanden. An der Herstellung dieser Stimmen waren zwei verschiedene Kopisten beteiligt. Sie haben nicht signiert, dennoch konnte ich sie über sorgfältige Schriftvergleiche aus anderen Quellenbeständen als Salzburger Hofkopisten identifizieren.
Der eine von ihnen ist Maximilian Raab (ca. 1720-1780). Er arbeitete bekannt äußerst verlässlich, immer in direktem Kontakt mit Leopold und Wolfgang Amadé Mozart. Von Maximilian Raab stammen fast alle Stimmen der Brixner Quelle.
Der zweite Schreiber ist Felix Hofstätter (ca. 1744-1814). Er kopierte Mozart-Werke offiziell für den Hof, war aber auch privat für die Mozarts tätig, wenn Werkabschriften für auswärts hergestellt werden mussten. Von Hofstätters Hand sind in Brixen nur die Stimmen für die zwei Oboen sowie je ein Zweitexemplar für die beiden Violinen.
Bereits der Schreibernachweis belegt die Herkunft der Noten aus dem unmittelbaren zeitgenössischen Umfeld des Komponisten und indiziert damit eine Quelle von besonderem Rang. Dieser Sonderstatus bestätigte sich durch zahlreiche zusätzliche eigenhändige Eintragungen von Leopold und Wolfgang Amadé Mozart. Auf diese Eintragungen und die sich daraus ergebenden Folgerungen wird etwas später eingegangen.
Auch der Brixner Einband aus Pappe, in dem die Stimmen lose liegen, erfordert Aufmerksamkeit. Auf dem Titeletikett steht geschrieben:
Missa solemnis in C | A 4 Voci Concertant | 4 Voci Ripieno | 2 Violini duplicat | Violone, 2 Oboe | Fagotto, 2 Clarini | Tympani, Organo. | Di Amadeo Wolfgang Mozart | Maestro di Concerti.
Die Formulierung des Titels, insbesondere die Autorenangabe, deutet auf Salzburger Provenienz. Etwas später entstandene Abschriften derselben Messe in der Benediktinerabtei St. Peter Salzburg oder im Franziskanerkloster Salzburg weisen einen Titel auf, dessen Beginn und Ende analog zu Brixen lauten. Ein Vergleich mit den übrigen Musikalien im Domkapitelarchiv bzw. Diözesanarchiv Brixen zeigt jedoch, dass die Umschlagmappe und der Titel von Mozarts "Missa solemnis in C" später als die Handschrift selbst zu datieren sind und in Brixen beigegeben wurden, mit großer Wahrscheinlichkeit um 1850. Auf Brixen geht auch zurück, dass das originale Maestro di Concerto zu Maestro di Concerti mutierte. Zweifelsohne hatte aber der Wortlaut eines Salzburger Titels als Vorlage gedient.
Wie kam nun die genuin Salzburger Handschrift mit Einträgen der Mozarts nach Brixen, wo sie im Gesamtbestand eine singuläre Rolle einnimmt?
Graf Ignaz von Spaur, bei dessen Bischofsweihe in Salzburg 1776 die Messe KV 257 erstmals erklungen war, hatte zuletzt in der Brixner Hofburg residiert, dem nunmehrigen Fundort der für die definitive Zuordnung der Spaur-Messe relevanten Handschrift. Ignaz von Spaur zog 1776 für immer von Salzburg nach Brixen. Was liegt näher als die Annahme, dass er "seine" Messe selbst von Salzburg nach Brixen mitbrachte? Das Notenmaterial stellte ein geliebtes Erinnerungsstück dar und ebenso die Grundlage, die Komposition auch in Brixen wieder zur Aufführung zu bringen.
Vor dem Bekanntwerden der Handschrift in Brixen mit Mozarts "Missa solemnis in C" KV 257 hatte eine Abschrift des Stücks in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg als bedeutendste Quelle für sie gegolten. Sie befand sich einst im Besitz von Leopold Mozart. Nach seinem Tod gab sie seine Tochter Nannerl an das Augustinerchorherrenstift Heilig Kreuz in Augsburg. Von dort gelangte sie in die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg.
Die Handschrift in Augsburg hat mit der in Brixen folgendes gemeinsam: Sie besteht ebenfalls aus zeitgenössischen Stimmen von Salzburger Hofkopisten, nämlich wie in Brixen von Maximilian Raab und Felix Hofstätter, dazu kommen Duplikate für die Chorstimmen, geschrieben vom Salzburger Hofviolinisten Josef Estlinger. Sie enthält gleichfalls eigenhändige Revisionen von Leopold und Wolfgang Amadé Mozart, allerdings sind diese gegenüber anderen Erstabschriften von Mozart-Werken und nun natürlich auch gegenüber der "Brixner" Handschrift, auffallend spärlich. In Augsburg liegen insgesamt 29 Stimmen vor, also neun mehr als in Brixen.
Eine genaue Aufschlüsselung des Stimmenmaterials von Augsburg und Brixen im Vergleich ergibt, dass beide Materialien zueinander komplementär sind. Im Detail zeigt sich:
Originär hatten die Stimmkopien mit der Messe KV 257 in Brixen und Augsburg von der Hand Maximilian Raabs eine Einheit gebildet, und mit ihnen muss die Uraufführung im Salzburger Dom erfolgt sein.
Für die gewöhnliche Anzahl der ausführenden Sänger und Musiker in Salzburg wurden für den Chor sowie für Violine 1 und Violine 2 weitere Stimmen gebraucht. Diese lieferte in je einem weiteren Exemplar Felix Hofstätter, jedenfalls für Violine 1 und Violine 2, mit höchster Wahrscheinlichkeit auch das jeweilige Zweitexemplar der vokalen Ripieno-Stimmen.
Von diesem Salzburger Gesamtkomplex gelangten mit der Übersiedlung Garf Ignaz von Spaurs an seinen neuen Wirkungsort alle dort brauchbaren bzw. benötigten Stimmen nach Brixen. In Salzburg war es üblich, Oboen "in B" zu spielen, auch bezeichnet als "Oboi transpostae". Sie waren vermutlich kammertönig gestimmt, konnten sich aber überregional nicht durchsetzen. Infolgedessen schrieb Felix Hofstätter nachträglich für den Transfer nach Brixen zwei Stimmen für die gewöhnliche Oboe in C. Die Aufführungspraxis in Salzburg war eine lokalspezifische: Dort spielten drei Posaunen (Alt-, Tenor- und Bass-) grundsätzlich die Tutti-Partien der vokalen Alt-, Tenor- und Bassstimme colla parte mit. Sie standen aber nicht beim Chor, sondern auf einer eigenen Empore und brauchten deshalb, im Gegensatz zu anderen Kirchen, eigene Stimmen. Im Salzburger Dom standen zur Mozart-Zeit sechs Orgeln zur Verfügung, eine auf der Empore über dem Hauptportal, je eine auf jeder Empore an der vier Kuppelpfeilern sowie ein Positiv im Presbyterium. Dieses Positiv, in den Stimmen gekennzeichnet mit "Organo ripieno" erklang nur im Tutti, zusätzlich zu "Organo solo". Bei der Spaur-Messe kam in Salzburg vermutlich die sogenannte "Hoforgel" auf der südöstlichen Empore zum Einsatz, denn dort standen auch die Vokalsolisten. Graf Ignaz von Spaur bekam nach Brixen die Stimme "Organo solo" mit, wo diese ja für die dortigen Verhältnisse genügte. Die Stimmen "Organo ripieno" und "Battuta", eine Art Direktionsstimme, verblieben hingegen in Salzburg bzw. danach in Augsburg, wobei Felix Hofstätter für diesen Materialkomplex als Ersatz eine neue "Organo solo"-Stimme beisteuerte.
Es ist anzunehmen, dass die Mozarts ihrem Gönner Graf Ignaz von Spaur nur ihr Bestes, in Form einer detailgetreuen Niederschrift der Messe, mitgeben wollten. Daher haben sie die "Brixner" Stimmen mit besonderer Akribie noch einmal durchgearbeitet. Folgendes spricht für diese Theorie: In den Oboen-Stimmen von Augsburg findet sich eine Reihe von Artikulationszeichen, beigefügt von Leopold Mozart oder Wolfgang Amadé, die im Autograph nicht stehen, weil sie für den Komponisten selbstverständlich sind. Allerdings sind sie nicht mit letzter Konsequenz gesetzt. In den Oboen-Stimmen von Brixen sind jedoch Phrasierungsbögen in dichter Abfolge enthalten. Nicht immer ist klar abzugrenzen, ob sie von Wolfgang Amadé bzw. Leopold stammen oder möglicherweise, unter Mozart"scher Aufsicht, von Felix Hofstätter. Auf jeden Fall sind sie zeitgleich mit der Kopie und etwa durch dynamische Zusätze Wolfgang Amadés auf demselben Notenblatt autorisiert. Sie schaffen erstmals eine gründliche Klarheit über die Artikulation bei der Werkinterpretation, wie sie vor der Kenntnis der Brixner Quelle nicht gegeben war.
Die Mozart-Eintragungen in Brixen sind hinsichtlich der Dynamik und Artikulation zahlreich und differenziert, anderswo in dieser Dichte und Bestimmtheit nicht vorhanden. Damit kommt der Handschrift in Brixen ein höchstrangiger Quellenwert zu. Er liegt sogar über dem des Autographs, das in der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz verwahrt wird. Die Handschrift der Spaur-Messe in Brixen spiegelt am ausführlichsten und letztgültig den Willen des Komponisten wider. Dies geht aus den dargelegten Umständen der Entstehung der heute in Brixen bzw. Augsburg verwahrten Quellen und deren Erscheinungsbild deutlich hervor.
Wir haben heute also zwei gültige Stimmenmaterialien zur Spaur-Messe fast gleichwertig nebeneinander verfügbar. Die "Salzburger" Besetzung mit drei Posaunen und zwei Orgeln steht ebenso unter der Ägide des Komponisten wie die "Brixner" Version der Messe. Adaptierungen von Musik an lokal unterschiedliche Gegebenheiten waren im 18. und 19. Jahrhundert üblich. Die "Brixner" Version von KV 257 hat jedoch mit einer früher gängigen Anpassung, die gegenüber dem Original oft minderwertig war, nichts gemein. Vom Komponisten autorisiert, ist in ihr keinerlei musikalische Substanz geändert, lediglich die Besetzung reduziert, ohne Stimmeneinbuße, was für einen kleineren Kirchenraum als den Salzburger Dom sogar einen Vorteil bringen kann. Was die Handschrift in Brixen gegenüber der in Augsburg zweifelsohne voraushat: In Brixen sind die Vortragsanweisungen minuziös vervollkommnet, daher kann eine sorgsame Aufführung nach dieser Primärüberlieferung sich der Werkintention am meisten annähern. Es ist in erster Linie Graf Ignaz von Spaur als Freund und Vertrautem der Mozarts zu verdanken, dass von seiner Regentschaft als Fürstbischof von Brixen her der Welt eine singuläre Quelle mit größtmöglicher Authentizität zu einer der bedeutendsten kirchenmusikalischen Kompositionen Mozarts geschenkt wurde.
Literatur, alle Titel von Hildegard Herrmann-Schneider:
Wolfgang Amadé Mozarts "Spaur-Messe" KV 257. Ein altes Rätsel
der internationalen Mozart-Forschung und seine endgültige Lösung in Brixen 2007.
In: Der Schlern 81 (2007), H. 11, S. 4-21.
Tiroler Mozart-Aspekte.
In: Symposion Brixen 2006. Kunst & Sakralraum, Brixen: Weger 2008, S. 101-135.
Die Handschrift mit der "Missa solemnis in C" KV 257 im Diözesanarchiv Brixen.
Das Notenmaterial der Uraufführung von Mozarts "Spaur-Messe".
In: Mozart Studien 18 (2009), S. 23-47.
La "Spaur-Messe" Messa KV 257 [di] Wolfgang Amadé Mozart.
In: Lo Spirito Nobile della Gente Anaune. Percorsi espositivi e narrativi.
Cles Palazzo Assessorile 16 Aprile 4 Settembre 2011, Cles 2011, p. 114-117 (Traduzione: Giulia Gabrielli).
Abbildungen aus der Handschrift mit der Missa solemnis KV 257 im Diözesanarchiv Brixen