Natursänger Ludwig Rainer und der Weltruf des Tiroler Nationalgesangs

Am 15. Mai 1893 verstarb in Bad Kreuth bei Tegernsee im Alter von fast 72 Jahren auf der Heimreise von München der Tiroler Nationalsänger Ludwig Rainer. Damit endete das Künstlerleben eines der wichtigsten Botschafters Tirols in Sachen Musik.
Tiroler Volksmusik erlangte im frühen 19. Jahrhundert, vom Zillertal ausgehend, internationale Popularität. Die erste Gesangstruppe, die mit einem ausgesuchten Repertoire an Tiroler Volksliedern gewissermaßen auf Tournee durch Europa unterwegs war, waren die Geschwister Maria, Felix, Anton, Josef und Franz Rainer aus Fügen im Zillertal. Die Sängerfahrten dieser später als Ur-Rainer bezeichneten Sängergesellschaft währten nur wenige Jahre, hatten aber überaus erfolgreich den Boden für alle nachfolgenden ähnlichen Unternehmungen bereitet. In der Vielzahl der als National- oder Natursänger vor allem im 19. Jahrhundert in ganz Europa reisenden Tiroler Gesangstruppen ist jene Ludwig Rainers die weitaus bedeutendste gewesen.
Ludwig Rainer, der aus Fügen stammte und mit den Ur-Rainer nahe verwandt war, gründete bereits 1839 mit seiner Nichte Helene Rainer, mit Margarethe Sprenger und Simon Hollaus seine erste Gesangsgruppe, womit ein überaus erlebnisreiche und einzigartige Sängerkarriere ihren Anfang nahm.

Ludwig Rainer (1821-1893)
Fotografie (Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek)


Tourneen bis nach Kleinasien


Bis 1884 führten ihn ständige Tourneen mit seiner im Lauf der Zeit umbesetzten und vergrößerten Gruppe durch ganz Europa, Amerika und Kleinasien. Von 1839 bis 1843 hatte er in Amerika und von 1858 bis 1868 in Russland festen Aufenthalt genommen.
Mit Bayern verbindet den Tiroler Sänger und seine Familie jedoch nicht nur sein Sterbeort. Ludwig Rainer weilte mit einer Gruppe immer wieder zu Auftritten in Bayern, nicht zuletzt am Münchner Hof bei Herzog Max. Das Polizeikartenregister der Stadt München zum Beispiel enthält einen Eintrag, dass Rainer Ludwig, Natursänger, geb. zu Fügen, wohnhaft in Rattenberg, beide Orte in Tirol am 25. Oktober 1855 zum Zweck einer Produktion in München in der Herrenstraße 34 im zweiten Stock bei Friedrich Fleischmann Quartier bezog und eine Aufenthaltskarte bis 25. Dezember 1855 erhielt, die bis 27. Januar 1856 verlängert wurde. Angemerkt ist noch, dass Ludwig Rainer am 22. Januar 1856 von München nach Stuttgart aufbrach.


Sängerjubiläum in München

Im Jahr 1870 weilte Ludwig Rainer erneut längere Zeit in München, wo er in der Zentralhalle einen Zyklus von Konzerten gab. Es dürfte ihm für die königlich-bayrische Landeshauptstadt eine besondere Vorliebe eigen gewesen sein, denn er beging sein fünfzigjähriges Sängerjubiläum 1884 mit einem Konzert eben in München.
Um die Mitte Mai des Jahres 1893 gastierte in München im Volksgarten, einem ehemaligen Vergnügungsetablissement im Stadtteil Neuhausen, eine Tiroler Sänger- und Schuhplattler-Gesellschaft. Möglicherweise war Ludwig Rainer mit ihr dort zusammengetroffen.
Im Jahr 1886 und im Juli 1887 gab die berühmte Tyroler Sänger-Gesellschaft Rainer aus Achensee - dort war Ludwig Rainer schon lange Besitzer des Hotels Seehof - in Tegernsee im Garten des Gasthofs Steinmetz ein Conzert mit acht Personen in ihren National-Costümen. Die Nähe von Achensee und Tegernsee mag wohl den Ausschlag gegeben haben, dass Ludwig Rainer in diesen Jahren nochmals auswärts auftrat. Der heute nicht mehr existente Gasthof Steinmetz in Tegernsee war noch zu Kiem-Paulis Zeit ein beliebter Treffpunkt von Sängern und Musikanten; im Juni 1889 war dort auch die Tiroler Sängergesellschaft J. Eberl zu Gast.


Tiroler Gesang, Münchner Zither

Die Bande der Tiroler Sängerfamilie Rainer nach Bayern, die schon um 1828 mit einer Publikation von Liedern aus ihrem Repertoire im Münchner Hofmusikalienverlag Falter belegt sind, reichen bis in die Gegenwart. Ludwig Rainers Cousin Franz Rainer, ein Sohn von Ludwigs Onkel Felix (aus der Truppe der Ur-Rainer) und gebürtig aus Finkenberg im Zillertal, rief 1890 die Tiroler Sänger- und Tänzer Gesellschaft Franz Rainer aus dem Zillertal ins Leben. Er unternahm mit ihr bis zum ersten Weltkrieg unter anderem vier Reisen nach Amerika und eine Fahrt nach Russland.
Im Jahr 1900 hatte er die Gruppe erweitert, unter anderem mit seiner Stiefschwester Maria Rainer und deren späteren Gatten Max Bogner. Max Bogner stammte aus München und begleitete die Sänger auf der Zither. Er war bereits im Alter von 16 Jahren als virtuoser Zitherspieler in und um München bekannt. Franz Rainer plante eine Amerikatournee und suchte dazu noch einen Zitherspieler. Folglich sprach er in München bei den Eltern Max Bogners persönlich vor und erhielt von ihnen sofort die Einwilligung für das Engagement des jungen Burschen. Maria Bogner trug als exzellente Tänzerin und Altistin zu den Erfolgen der Truppe bei.
Max Bogner verstarb bereits 1928 in München, Maria Bogner 1966 in Tegernsee. Beide waren die Eltern des Bürgermeisters Hermann Bogner von Gmund am Tegernsee.
Franz Rainer zog mit seinem Bruder Hermann, einem Bildhauer, beim Ausbruch des ersten Weltkriegs nach Herrsching am Ammersee, wo beide bis an ihr Lebensende verblieben. Franz Rainer starb 1925 in Herrsching als Cafetier.


Gedenktafel in Bad Kreuth?

Bis zu seinem Tod im September 1960 lebte in Bad Kreuth der prominente bayrische Sänger, Liedsammler und Volkskundler Kiem-Pauli. Er ist hier auch - wie Ludwig Rainer - verstorben. 1992 wurde an der Kapelle in Bad Kreuth zu seinem 110. Geburtstag eine Gedenktafel angebracht. Wäre hier nicht auch eine Gedenktafel für Ludwig Rainer angemessen, vielleicht von Tirol und Bayern gemeinsam initiiert, um so ihre vielfach offenkundige volkskulturelle Verbundenheit erneut zum Ausdruck zu bringen?