Blasmusik

Ein Pendant der städtischen Turner waren auf dem Land die Schwegel- und Trommelspieler. Sie spielten zum Tanz auf, begleiteten aber beispielsweise auch Prozessionen. Schon im Mittelalter besorgten sie die Marschmusik der Schützen.
Bei einem Freischießen in Hall waren im Jahre 1640 Pfeifer und Schützen anwesend. Im Gemeindegebiet von Eppan wirkten um 1720 bei jedem Freischießen ein Tambour und ein Pfeifer mit. "Pritschenmeister" bestimmten im 16. Jahrhundert den Ablauf der Schützenfeste mit musikalisch begleitetem Aufmarsch der Schützen, Mahl und Tanz, Tusch und Trommelreveille. Trommler und Schwegler, die um 1800 noch immer Formationen der Landesverteidigung begleiteten, galten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Schützenfesten weiterhin als notwendig.[68]
Der in Nord- und Südtiroler Franziskanerklöstern wirkende Organist und Komponist Pater Johann Josef Kliebenschädl OFM (1811-1871) sammelte alte Schützenschwegel-Melodien und veröffentlichte sie in der Tiroler Schützen-Zeitung vom 19. August 1847. In einer Bearbeitung für Klavier gab er sie um 1850 bei JosefSchöpf in Innsbruck heraus: "Melodien für die Tiroler-Schützen-Schwegel wie diese ehemals auf den Schießstädten üblich waren, nun aber größtentheils in Vergessenheit gekommen sind [...]".[69]
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gesellten sich zu Schwegel und Trommel Holz- und Blechblasinstrumente: In Eppan trat im Jahr 1764 zur Feier des Friedens von Hubertusburg, unter anderem mit einem Festzug der Schützen, zum Pfeifer und den zwei Tambouren "die vollkommene in 11 Pfarrmusikanten bestehende Musik [hinzu], welche sich mittels Aufspielung einer türkischen Feldmusik allen Ruhm erworben" hat. Diese Schützenkapelle ist ein Vorläufer der später in der Region gegründeten Blasmusikkapellen, von St. Pauls (1813), Girlan (1838) und St. Michael (1898).[70] Wie damals auch in anderen Gemeinden, hatten sich anfangs einzelne Musikanten lediglich bei Musikbedarf einige Male im Jahr zu einem Ensemble formiert, woraus sich schließlich eine Musikkapelle entwickelte.
Ab etwa 1800 bestanden in Tirol neben der "Spielmusik" der Schwegler und Trommler Blasmusikensembles ("Banden") mit je circa zehn Mitgliedern in verschiedener Besetzung: Die als "Feldmusik" (später "Harmoniemusik") bezeichnete Formation umfasste Holz- und Blechbläser, meist Klarinetten, Hörner, Trompeten und Posaunen, aber keine Oboen. Die "türkische (Feld-) Musik" trat mit Holz- und Blechbläsern, dazu mit Schlagzeug wie Trommel und Becken, einem Schellenbaum ("Glöcklhut") und teilweise einem Triangel auf.[71] Eine "musica turca" mit 17 Spielern, einschließlich der paarweise auftretenden Instrumente Trommel, Becken, Triangel und "cimbali" ("Zimbeln", also möglicherweise eines "Glöcklhuts"), ließ sich in Rovereto bereits 1764 beurkunden. Den Prototyp einer tirolischen "türkischen Musik" hat Josef Weger auf seiner kolorierten Radierung "Feierlicher Aufzug der Tiroler Schützen" kurz nach 1800 dargestellt.[72]
Die Schützenkompagnie Hötting rückte im Jahr 1813 mit einer Musikbande aus, die aus zwei Geigen, einem "Bassettl", je einer Flöte (Schwegel) und Klarinette, je zwei Trompeten und Posaunen sowie einer kleinen Trommel bestand. 1819 wandelte sie sich um in eine "türkische Musik" nach dem Vorbild der Kaiserjägermusik.[73] Seit Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden neue, organisierte, von den Schützen unabhängige Musikkapellen, die kirchliche und profane Feste der Gemeinden mit Musik bereicherten. Oft war für die Gründung das Zusammenwirken von Pfarrer, Lehrer beziehungsweise Organist und mäzenatischen Ortsbewohnern, die beispielsweise Instrumente stifteten und Musikanten maßgeblich. In Vils etwa war der Initiator und erste Kapellmeister der Blasmusik um 1850 gleichzeitig Pfarrorganist und Schullehrer. Man spielte hier mit Vorliebe Bearbeitungen aus romantischen und heiteren Opern des italienischen, französischen und deutschen Repertoires. Eine ähnliche Konsistenz hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Repertoire der "Städtischen Musikkapelle" in Bozen unter der Leitung des Pfarrorganisten und Kapellmeisters Jakob Johann Schgraffer. Verschiedene Körperschaften begannen ihre eigene Kapelle zu stellen, wie etwa die Feuerwehr in Telfs, die 1899 aus der dortigen "Feldmusik" eine selbständige Musikkapelle gründete.[74] Die Besetzungen wurden im Lauf der Zeit erweitert und die zur Verfügung stehenden modernen Instrumente neu aufgenommen.[75]
Die Blasmusik fand bald in allen sozialen Schichten ihre Anhänger und wurde auch schon im 19. Jahrhundert Repräsentationsmedium eines Ortes oder auch des Landes. Hohe offizielle Besuche wurden durch Musikkapellen empfangen und geehrt. Für den sich entwickelnden Konzertbetrieb waren die Blaskapellen eine beim Publikum willkommene Programmbereicherung. Das hatte zur Folge, dass die früher auswendig und nach Gehör blasenden Musikanten lernen mussten, nach Noten zu spielen. Seit Franz Bühler (1760-1823) und Johann Baptist Gänsbacher (1778-1844) widmeten sich viele Tiroler Komponisten, unter ihnen Josef Abentung (1779-1860), Josef Netzer (1808-1864), Josef Gregor Zangl (1821-1897) und auch Ludwig Thuille (1861-1907) aus Bozen, der in München um 1900 im Mittelpunkt des Komponistenkreises der "Münchner Schule" stand und dessen Oper "Lobetanz" (uraufgeführt 1898 durch Felix Mottl in Karlsruhe) Richard Strauss als "famose [...] Partitur" befand, der Blasmusikkomposition.[76]

Fussnoten

[68] Hermann Egger, Die Entwicklung der Blasmusik in Tirol, Innsbruck 1952 (masch. Dissertation), S. 13, 70;
Karl Franz Zani, "Aus der Geschichte der Schützen von Eppan", in: Festschrift anläßlich der Fahnenweihe der Schützenkompagnie Eppan, Eppan 1976, S. 14;
Karl Franz Zani, 150 Jahre Musikkapelle Girlan. Festschrift (= Überetscher Buch 2), Girlan 1983, S. 13;
Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch, Wien [u.a.] 1979, S. 28ff. -
Der "Pritschenmeister" Erzherzog Ferdinands II., Benedikt Edelpöckh, schrieb 1568 auf Schloss Ambras die "Comedie von der freudenreichen Geburt unseres ainigen Trost und Hailandt Jesu Christ" mit Musikeinlagen (Franz Hölbing, "Theater in Innsbruck", in: Theater in Innsbruck, Festschrift hrsg. v. Theaterausschuß des Landes Tirol und der Stadt Innsbruck, Innsbruck 1967, S. 73). Pritschenmeister trugen auch zur Verbreitung von Spielen und Liedern bei (Anton Dörrer, Tiroler Volksgut auf dem Heideboden. Unterinntaler Weihnachtsspiel in der Dreiländerecke des Neusiedlersees (= Burgenländische Forschungen 17), Eisenstadt 1951, S. 43f., 54).

[69] Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik 2, Innsbruck 1929, S. 131;
Karl Horak, "Beiträge zur Volksmusik Tirols", in: Jahrbuch des österreichischen Volksliedwerkes 4 (1955), S. 78f.
Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch, Wien [u.a.] 1979, S. 37.

[70] Karl Franz Zani, "Aus der Geschichte der Schützen von Eppan", in: Festschrift anläßlich der Fahnenweihe der Schützenkompagnie Eppan, Eppan 1976, S. 13ff.;
Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch, Wien [u.a.] 1979, S. 30, 33;
Karl Zani und Karl Plunger, 225 Jahre Musikkapelle St. Pauls. Festschrift (= Überetscher Buch 6), St. Pauls/Eppan 1989.









[71] Hermann Egger, Die Entwicklung der Blasmusik in Tirol, Innsbruck 1952 (masch. Dissertation), S. 84, 88;
Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch, Wien [u.a.] 1979, S. 30, 62f.
Erich Egg, "Der chinesische Glöcklhut in Tiroler Musikkapellen", in: Festschrift für Karl Horak, hrsg. v. Manfred Schneider, Innsbruck 1980, S. 127ff.

[72] Antonio Carlini, "Dal XVII al XIX Secolo", in: Musica a Mezzolombardo. Dalla Chiesa alla Banda: spettacolo e cultura tra XVII e XX secolo, Mezzolombardo 1989, S. 79. -
Das Original von Wegers Radierung befindet sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Signatur FB 4378); siehe hierzu Hildegard Herrmann-Schneider, "Josef Wegers 'Türkische Musik'", in: Buergerkapelle Brixen 1801-2001. Festschrift, Brixen 2001, S. 11ff.

[73] Hermann Egger, Die Entwicklung der Blasmusik in Tirol, Innsbruck 1952 (masch. Dissertation), S. 28, 87f.

[74] Walter Thaler, "Musikpflege [und] Volksschauspiele", in: Telfer Buch (= Schlern-Schriften 112), Innsbruck 1955, S. 301;
Hildegard Herrmann-Schneider, Die Musikhandschriften der Pfarrkirche und der Musikkapelle Vils. Thematischer Katalog (= Beiträge zur Musikforschung in Tirol 2), Innsbruck 1993, S. 17*ff., 26*;
Giuliano Tonini, "'Carissimo Giacomino ...': il bolzanino Jakob Johann Schgraffer (1799-1859) allievo di composizione all'Imperial Regio Conservatorio di musica di Milano del maestro Vincenzo Federici (1764-1826)" [mit Verzeichnis der Werke Schgraffers], in: La musica a Milano, in Lombardia e oltre 2, hrsg. v. Sergio Martinotti, //??Ort, Jahr//, S. 179f. -
Zur Gründung der Blaskapellen im Trentino im 19. Jahrhundert siehe Antonio Carlini, "Dal XVII al XIX Secolo", in: Musica a Mezzolombardo. Dalla Chiesa alla Banda: spettacolo e cultura tra XVII e XX secolo, Mezzolombardo 1989, S. 80f.

[75] Siehe zum Beispiel Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch, Wien [u.a.] 1979, S. 86ff.










[76] Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch, Wien [u.a.] 1979, S. 86ff. -
Jugendstil-Musik? Muenchner Musikleben 1890-1918 (= Bayerische Staatsbibliothek. Ausstellungskataloge 40), Wiesbaden 1987, S. 210, 290ff.