Berufsmusiker im Dienst am Bürger

Eine informative und schützende Funktion für die Bürger hatten die "Turner". Mit dem Blasen ihrer Trompeten, Posaunen und Pfeifen kündeten sie die Tageszeiten an, meldeten und begrüßten sie in die Stadt einreitende hohe Gäste, verabschiedeten sie beim Verlassen der Stadt oder machten auf Gefahren aufmerksam.
In Innsbruck wohnten sie oben im Stadtturm, seit dem Jahr 1570 zu viert. Der im August 1600 neu aufgenommene Stadttürmer Hans Wentseisen ( 1636) wurde verpflichtet, mindestens drei Gesellen zu halten. Mit diesen durfte er bei bürgerlichen Festen, auch zum Tanz, aufspielen. Lediglich zur Fasnachtszeit durften in Innsbruck noch andere "Spielleute" aufspielen, weil die städtischen Turner allein den Musikbedarf nicht decken konnten. Adam Gogl, ein Spielmann aus Steinach, ließ sich 1582 in Hötting nieder und suchte bei der Stadt an, "trotz des turners seine saitenspil gebrauchen zu dürfen". Erst vier Jahre später kam eine Einigung mit dem Stadttürmer zustande, dass dieser ihn "umb ein leidliches [...] frey hofieren und musicieren lasse".[1] In den Jahren 1575 und 1582 untersagte die Stadt Haller Geigern das "Hofieren" in Innsbruck, verlangte jedoch vom Innsbrucker Turner, "dass er mit denselben meniglichen nach yedes begeren als mit ainem, zwayen oder merern dienen künde". In Hall wurden bis 1523 die Signale für die Bevölkerung vom Pfarrkirchturm mit einem "Heerhorn" (Hornwerk) gegeben, einer mechanisch bespielten Orgel, danach zog ein Turner samt Gesellen im Turm ein.[2]
In Bruneck dienten um die Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Nachtwächter. Während der eine stündlich singend durch die Gassen zog, läutete der andere im Rainturm viertelstündlich eine kleine Glocke als Zeichen seiner Wacht oder bei einem Brand eine seiner beiden größeren Glocken, je nachdem, wo es brannte. Verlautbarungen des Stadtmagistrats vermeldete ein Ausrufer. Er begann und beendete seine Mitteilungen durch Streiche auf der großen Stadttrommel. Die Nachricht am 31. März 1799 in Innsbruck, dass Mantua sich ergeben habe, verkündete ein "Trompetenschall" vom Stadtturm.[3]
Die Stadtturner in Innsbruck sahen sich immer wieder in ihrer die Existenz sichernden Nebentätigkeit, dem Aufspielen in der Stadt zu Hochzeiten, zu öffentlichen Unterhaltungen, Tanzveranstaltungen, in Wirtshäusern und auf den Gassen von auswärtigen Spielleuten bedrängt. So wurden etwa im Jahre 1545 "welsche pfeifer und geiger also von haus zu haus" ziehen wollten, nicht geduldet. 1582 wurden wiederum fremde Spielleute ausgewiesen. Der Innsbrucker Stadttürmer und Spielgraf Bartlmä Kätl drang im Dezember 1645 in Sterzing darauf, dass die Spielleute dort "mit ihrem Saitenspill darinniger Orten zu beleiben" hatten und nur nach Aufforderung in Innsbruck länger spielen durften. Herren des Innsbrucker Hofes und der Regierung war es vorbehalten, sich zu Haus- und Familienfesten italienische Spielleute nach Innsbruck zu holen, doch durften diese nach ihrem Auftritt höchstens noch eine Woche in der Stadt verbringen. Die Spielleute von Rattenberg, Kufstein und Kitzbühel wünschten 1643 die Ausweisung "musicalischer Vaganten". Trotz wiederholter Versuche, auswärtige Spielleute vom Auftritt in Tirol auszuschließen, schafften es doch immer wieder einige, hier Darbietungen zu bringen, so etwa in Innsbruck 1544 zwei "welsche" und 1545 zwei aus Kärnten. Im Rathaus von Sterzing bot 1536 zu Ehren hoher Gäste ein "Niederländer mit einer härpfen" die Musik auf. Eine venezianische Gesandtschaft auf dem Weg zu Kaiser Friedrich III. hörte 1492 in Trient zur Tafel einen "Possenreißer", der eine Sängerin auf mehreren Instrumenten begleitete und dann zu Innsbruck im Gasthof "Löwen" Trompeter und Sänger.[4]
Der vorrangig in Hall und Schwaz wirkende Arzt und Gelehrte Hippolyt Guarinoni (1571-1654) tadelte zu Anfang des 17. Jahrhunderts, dass die Spielleute in Tirol "mit ihrem vnziemblichen Geygen vnd Spielen oder Singen" die Menschen betörten und allerhand unzüchtiges Treiben im Volk "reytz[t]en vnd beweg[t]en". Die "Obrigkeit" sollte in Stadt und Land "die Stirn gegen den Spielleuten reumpffen", denn es sei erst unlängst bei einer Hochzeit "den Spielleuten die allerschaendtlichsten Lieder an vnd auffgeben worden, nicht allein auff ihren Instrumenten zu spielen, sonder[n] auch mit der Stimm darein zu singen".[5]
Bereits im Jahr 1451 waren die Tiroler Spielleute in einer Zunft, dem "Spielgrafenamt an der Etsch und im Inntal", zusammengeschlossen. In den Frauenkirchen von Wilten und Terlan, wo täglich ihre Opferkerze brannte, trafen sie sich einmal jährlich zu Gottesdienst, Beratung und Raitung. Der Zunft stand ein vom Landesfürst ernannter "Spielgraf" vor. Er überwachte die Einhaltung der Zunftordnung, sprach Recht bei Streitigkeiten und nahm die Spielleute vor fremdem Wettbewerb und gegenseitiger Unredlichkeit in Schutz. Die Spielleute entrichteten ihm jährlich eine Abgabe, dafür stellte er ihnen einen "Spielzettel" aus. Wie die Regierung in Innsbruck die Spielleute in der Ausübung ihres Berufes sozial reglementierte, zeigt ein Erlass von ihr am 15. Oktober 1572. Darin sind "Lautenschläger, Geiger, Schwegler, Trommelschläger, Sackpfeifer und andere Pfeifer" als Instrumentalisten angeführt, die bei Hochzeiten, Kirchtagen "oder sonst bei freudigen Anlässen" aufspielten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts überließ die Regierung dem Spielgraf das Eintreiben der Tanzsteuer in Wirtshäusern als Lehen. Die ersten namentlich bekannten Spielgrafen waren die Hoftrompeter Jeronime Seeger (1463-1508) und Marx Perner (1513-1560). Wiederholt wurde das Amt Hofmusikern verliehen, zum Beispiel 1636 dem Falsettisten Elias Racholdinger oder 1665 dem Violinisten und Kornettisten Martin Gasteiger. Im 18. Jahrhundert hatten es unter anderen der Hofbassist, Theorbist und Pauker Franz Anton Boussier und ab 1733 seine Söhne Franz Karl Boussier und Josef Philipp Boussier inne. Zeitweise übernahmen es Innsbrucker Turner, zum Beispiel Vigil Etlhamer 1527, Hans Wentseisen 1600 und Bartlmä Kätl 1643. Die bayerische Regierung löste 1808 das Spielgrafenamt auf. Von nun an stellten die Landgerichte Patente für Musikanten aus.[6]















Fussnoten

[1] Zitiert nach Lambert Streiter, "Die 'Turner' von Innsbruck", in: Pfarrblatt für Innsbruck, Hötting und Mühlau 12 (1931), Nr. 4, S. 7.

[2] Lambert Streiter, "Die 'Turner' von Innsbruck", in: Pfarrblatt für Innsbruck, Hötting und Mühlau 12 (1931), Nr. 4, S. 6ff., Nr. 5, S. 5ff.;
Lambert Streiter, "Die Innsbrucker Pfarrkantorei", in: Pfarrblatt für Innsbruck, Hötting und Mühlau 10 (1929), Nr. 8, S. 8f.;
Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik 2, Innsbruck 1929, S. 41, 126, 129;
Walter Senn, "Pfarrschule und Kirchenchor. Die Musikkapelle des Damenstiftes", in: Haller Buch (= Schlern-Schriften 106), Innsbruck 1953, S. 438.







[3] Pauline und Karl Meusburger, "Aus dem alten Bruneck. (Ungefähr 1830-1870)", in: Der Schlern 4 (1923), S. 2, 68;
Franz Carl Zoller, Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck und der umliegenden Gegend 2, Innsbruck 1825, S. 367.
vgl. Florian Pichler, Südtirol in alten Lichtbildern, Bozen 1979, o.p. (Foto "Der Ausrufer von Sterzing").















[4] Lambert Streiter, "Die 'Turner' von Innsbruck", in: Pfarrblatt für Innsbruck, Hötting und Mühlau 12 (1931), Nr. 4, S. 8;
Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik 2, Innsbruck 1929, S. 127f.;
Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik 4, Innsbruck 1929, S. 340;
Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik 5, Innsbruck 1934, S. 41f.;
Konrad Fischnaler, "Die Volksschauspiele zu Sterzing im XV. und XVI. Jahrhundert", in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tiroler und Vorarlberg 3. Folge, 38. Heft (1894), S. 373f.;
Walter Senn, Musik und Theater am Hof zu Innsbruck, Innsbruck 1954, S. 242;
Josef Riedmann, "Eine Reise durch Tirol im Jahre 1492", in: Das Fenster 23 (1978), S. 2342, 2344.




[5] Hippolyt Guarinoni, Die Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts, Ingolstadt 1610, S. 189.



















[6] Lambert Streiter, "Die 'Turner' von Innsbruck", in: Pfarrblatt für Innsbruck, Hötting und Mühlau 12 (1931), Nr. 5, S. 7f., Nr. 8, S. 8;
Walter Senn, Musik und Theater am Hof zu Innsbruck, Innsbruck 1954, S. 241ff.;
Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik 2, Innsbruck 1929, S. 127f.;
Franz Hattler, Missionsbilder aus Tirol. Geschichte der ständigen Jesuitenmission von 1719-1784, Innsbruck 1899, S. 80;
Anton Dörrer, "Spieltennen und Tanzhäuser", in: Der Schlern 21 (1947), S. 299;
Georg Mutschlechner, "Ordnung für die Spielleute an der Etsch (1572)", in: Der Schlern 67 (1993), S. 468.